„Bernina-Süd“ – von Maloja nach Poschiavo/Le Prese
Wanderwoche vom 23. – 29. August 2009
23. August – von Zürich nach Maloja
Wir, das sind 15 aufgestellte Wanderlustige, treffen uns am Hauptbahnhof Zürich und fahren pünktlich um 10.37 h in Richtung Chur. Von hier geht die Fahrt weiter mit der Rhätischen Bahn nach St. Moritz: auf der romantischen und bahntechnisch imposanten Bergstrecke.
Der Albula-Abschnitt mit dem Landwasser-Viadukt ist zusammen mit der Bernina-Bahn in die Liste der „UNESCO-Weltnaturerbe“ aufgenommen worden. Der berühmte, 165 m lange Landwasser-Viadukt zwischen Tiefenkastel und Filisur ist zur Zeit mit einem roten „Gewand“ eingehüllt, dies wegen aufwändigen Renovationsarbeiten; diese Arbeiten sind mit 4.6 Mio. Franken heute deutlich teurer als seinerzeit – vor 107 Jahren – der Neubau des ganzen Viaduktes der 280'000.- Franken kostete!
Allein diese Bahnfahrt und die Weiterreise von St. Moritz nach Maloja mit dem Postauto, entlang dem Silvaplaner- und Silsersee ist ein entspannender Genuss. Die Zeit – dieser gut 4-stündigen Fahrt – verfliegt ob der vielen Eindrücke in Windeseile.
24. August – von Maloja nach Chiareggio - 6 Std.
Frühmorgens und 07.45 h sind alle erwartungsvoll beim Hoteleingang bereit! Dichter Nebel liegt über Maloja, nur da und dort zeigt sich gelegentlich der blaue Himmel. Bei angenehm kühler Temperatur und guter Wetterprognose starten wir – in guter Stimmung – zuerst in Richtung Cavloc-See ins Val Forno. Durch Sumpfwiesen, Alpweiden und bzirarren alten Lerchen und Legföhren, steigt der Weg nach der Brücke über die Orlegna, langsam bergan.
Nach einer Stunde erreichen wir den Cavloc-See: eingebettet in einer grossen Alpwiese, Fels und Lerchenwald, liegt er wie ein Spiegel vor uns. Das umliegende Bergpanorama erkennen wir in seinem scharfen Spiegelbild, ohne uns umsehen zu müssen. Am Fusse des Pizzo dei Rossi teilt sich schliesslich das Tal – wir gehen nach links, hinein in das Val Muretto und hinauf zum gleichnamigen Passo del Muretto.
Hier überschreiten wir auf einer Höhe von 2'562 m die Landesgrenze: nun sind wir bis am Freitag auf italienischem Gebiet. Vom Passo del Muretto aus sehen wir erstmals den Monte Disgrazia: mit 3'678 m Höhe, seinem buckeligen und langezogenen Grat, seinen Gletschern und Firnfelder ein Wahrzeichen der italienischen Alpen.
Auf einem gut erkennbaren, markierten und breiten Weg, steigen wir nun hinab in das Bergdörfchen Chiareggio: zuerst steinig, dann durch Alpwiesen und schliesslich einen Schatten spendenden Lerchenwald schlängelt sich der Weg hinunter ins Tal. In Chiareggio übernachten wir im gleichnamigen „Hotel Chiareggio“, wo uns die Familie Lenatti herzlich empfängt und bewirtet. Alleine das kleine Hotel ist eine Sehenswürdigkeit: ein altes Haus mit Natursteinmauern und viel Holz ist hier – besonders in der Eingangshalle und im Aufenthaltsraum zu erkennen – mit der sprichwörtlichen italienischen Handwerkerkunst erneuert worden.
25. August – zum Rifugio Longoni – 5 Std.
Bei guter Wetterprognose aber bedecktem Himmel und warmem Südwind, verlassen wir
um 08.00 h das Dörfchen Chiareggio. Nach gut 300 m über Weideland, verschwindet
der Weg in einem Mischwald aus Fichten und Lerchen. Kleinere Waldlichtungen
erlauben uns da und dort einen Blick ins Tal – so steigen wir langsam in der
morgendlichen Stille bergan. Einmal werden wir von zwei Männern überholt und
wechseln einige Worte mit ihnen – Vater und Sohn – die zum Pass dal Tremoggia
aufsteigen. Sonst sind wir alleine.
Die morgendliche Bewölkung lockert sich auf und wir
sind froh noch eine Weile im Schatten der Bäume zu gehen. Unterhalb der Alpe Fora,
auf etwa 2'100 m Höhe wird der Wald dann allmählich lichter und der Weg führt nun
über eine grosse Alpweide. Auf der obersten Stufe dieser Alp – auf gut 2'300 m Höhe –
treffen wir auf das Hirtenpaar mit einem Gehilfen. Sie sind daran, das kleine Alpgebäude
zu schliessen und mit 50 Kühen auf die nächst untere Stufe abzufahren, da die Wiesen
hier nicht mehr genügend Futter hergeben. Einige lassen sich das strenge Alpleben, die
Milch- und Käsewirtschaft erklären – der Aelpler und seine Gattin freuen sich sichtlich
ob des gezeigten Interesses und der kleinen Abwechsluung.
Eine Stunde später
erreichen wir – nach ingsgesamt etwa 5 Stunden Aufstieg – das Rifugio Longoni auf
einer Höhe von 2'430 m. Der Hüttenwart, Elia Negrini, empfängt uns mit seinen zwei
Kindern Theresa und Rocco. Da um diese Jahreszeit bereits nur mehr wenig Wanderer
und Bergsteiger unterwegs sind, geniessen wir es, die Hütte nur noch mit vier anderen
Besuchern teilen zu müssen. Gegen abend triff noch ein junges deutsches Pärchen ein,
sie haben vom Rifugio Marinelli herkommend, den Weg verfehlt und sind über den
Gletscher zu weit gegen das geschlossene Rifugio Scerscen aufgestiegen.
26. August – über den Passo Entova zum Rifugio Marinelli – 7 Std.
Ein Teil der heutigen Etappe sollte uns eigentlich über den Höhenweg zum Passo
Entova führen. Das Wetter will es aber anders! Anstatt um 06.45 h aufzubrechen warten
wir in der Hütte: der Himmel ist verhangen und immer wieder regnet es. Da der
Wetterbericht für den kommenden Tag wieder deutlich besser ist, beschliesse ich,
entweder einen „Hüttentag“ einzuschalten, oder – bei Wetterbesserung – eine
einfachere Wegvariante zu gehen und den Höhenweg auszulassen. Ein Anruf in der
Marinelli-Hütte bestätigte mir, dass es auch dort bedeckt ist und regnet, aber für Mittag
eine Besserung angekündigt ist.
Gott sei Dank können wir um 09.30 h bei langsamer
Wetterberuhigung aufbrechen. Wir steigen von der Longoni-Hütte etwa 300 Meter ab
und gelangen nun auf einer vor etwa 40 Jahren angelegten Naturstrasse gegen die „Pian
dei Buoi“. Auf dieser kargen Ebene, in einer Höhe von 2'672 m, finden wir die
Ueberreste eines verblassenen Traumes: zerfallende Gebäude, Abfall, eine
unbrauchbare Materialseilbahn, dies als Zeitzeugen des einstigen Sommerski-Gebietes
„Scerscen-Bernina“.
Nach einer kurzen Rast und Stärkung gehen wir weiter zur Forcella
d’Entova – nun wieder dem Höhenweg des Valmalenco folgend. Gelegentliche rotweisse
Markierungen und gelbe Dreiecke sowie die teils spärlichen Wegspuren, sind
unsere Wegweiser: Höhenmesser und GPS bestätigen uns die Richtigkeit!
Auf einer
Höhe von 2'425 m überqueren wir auf soliden Holzübergängen hintereinander drei
Gletscherbäche um dann auf einem Moränenkamm wieder aufzusteigen: der letzte
schweisstreibende Anstieg – nun wieder bei schönstem Sonnenschein – zum Rifugio
Marinelli. Dieses grosse „Berghotel“ erreichen wir nach etwa sieben Stunden auf 2'813
m Höhe. Die Bewirtung durch Franco, Marco und den Hüttenchef, Giuseppe della
Rodolfa, ist einmalig. Das Foto des dekorierten Tisches für das Nachtessen sagt hier
alles: dies auf einer Höhe von fast 3'000 m und weit abseits irgendwelcher
Erreichbarkeit. Eingeschlafen bin ich allerdings schlecht, da der gespannte Bauch und der
„brummende“ Schädel es mir schwer machten eine entspannende Lage zu finden.
27. August – über Campo Moro zum Rifugio Roberto Bigniami – gemütliche 7 Std.
Heute starten wir um 08.00 h bei strahlendem Wetter. Vorbei am kleinen See unterhalb
der Hütte, führt der Weg zur Bocetta delle Forbici und kurz darunter zum Rifugio Carate
Brianza. Die kleine Gedenkstätte oberhalb dieser Hütte gibt uns die Gelegenheit uns in
Stille eines kürzlich verstorbenen Kollegen zu erinnern, der uns während vieler Jahren
auf den Wandertouren begleitete und sich eigentlich auch für diese Woche angemeldet
hatte.
Auf der Sonnenterrasse des Rif. Carate mit Kuchen und Café gestärkt, gehen wir
dann weiter talwärts: nun folgt der Weg dicht der Waldgrenze und erst gegen die
Stauseen des Campo Moro fällt er nochmals etwa 200 m ab. Doch zuerst geniessen wir
die Aussicht: durch den schütteren Lerchenwald blicken wir hinunter zum Lago di
Campo Moro. Auf dessen Staumauerkrone gelangen wir dann zum rechten Seeufer.
Einem Natursträsschen folgend erreichen wir nach einer halben Stunde die zweite
Staumauer des Lago di Gera.
Unter der heissen Mittagssonne erklimmen wir langsam
auch diese Mauerkrone und folgen nun auf der linke Seeseite dem Weg zum Rifugio
Roberto Bignami. Fast 400 m über dem See, auf einer prominenten Anhöhe sehen wir
schon bald unser Tagesziel, das erwähnte Rifugio Bignami. Langsam, den Seespiegel
mehr und mehr unter uns lassend, führte der Weg unserem Ziel entgegen – wir erreichen
die Hütte gegen15.00 h.
Ich verwende für die Unterkunft gewohnheitsmässig den
Ausdruck „die Hütte“! Dabei handelt es sich beim Rifugio Bignami und auch Marinelli
um eigentliche „Berggasthäuser“ in unserem Sinne. Wohl sind die Schlafräume meist
gross und für 10 – 15 Personen gerechnet, aber auch kleinere 2er/3er-Zimmer sind
vorhanden und vor allem genissen wir die Duschen und die sauberen sanitarischen
Einrichtungen. Auch in dieser Hütte stärken wir uns bei einem guten Nachtessen und
erfreuen uns ob der herzlichen Gastfreundschaft.
28. August – durch das Val Poschiavino nach Le Prese – 7 Std.
Nun folgt die letzte Tagesetappe: sie zählt landschaftlich zu einer der schönsten. Durch
eine Alpweide und viele Blumen zieht der Weg zum hinteren Ende des Lago di Gera.
Das Tosen des Wasserfalles am engen Talende und der Blick zu den Abbrüchen des
Fellaria-Gletschers, welche in der Morgensonne glitzern, bilden den Rahmen dieses
Tagesanfanges.
Bei der Alpe Gembre, bereits auf der gegenüberliegenden Talseite,
erfahen wir durch die sympathische Hirtin Eulalia, dass sie bei der Alpabfahrt zuerst mit
der Ziegen und erst einige Tage später mit den Kühen zu Tale fahre, dies, weil die
beiden Tierarten mit unterschiedlichem Tempo vorankämen.
Nachdem der Weg unter
einem bedrohlich überhängenden Felsblock unten durch gegangen ist und dabei fast
das Wasserniveau des Stausees erreicht, steigt er dann allmählich wieder an zur Alpe
Val Poschiavina. Hier werden wir nochmals verwöhnt durch Guido Rossi, der diese Alp
bewirtschaftet: eigener fettreduzierter Alpkäse – da dies die kalorienbewusste
Kundschaft verlangt – Brot und Kaffee geben uns Kraft für die letzten Stunden dieses
Abschnittes.
Bei Sonnenschein und warmen Temperaturen ist das langgezogene Val
Poschiavino mit seinen Wiesen, Blumen und Bächen ein prachtvoller Abschluss.
Langsam wandern wir dieses einige Kilometer lange Hochtal empor zur Landesgrenze,
dem Pass da Cancian. Jemand meint: es ist eine der schönsten Landschaften die ich je
gesehen habe! Nach der Rast oberhalb der zwei kleinen Seen, verlassen wir dann
italienisches Gebiet endgültig und folgen dem Weg durch die Alp Cancian zur tiefer
gelegenen Alp Quadrada.
Um 15.00 h werden wir hier vom Posthalter aus Poschiavo, Gianluca Balzarolo, mit
einem Kleinbus abgeholt und nach Le Prese ins Sporthotel Raselli gefahren. Nun sind
wir in fünf Tagen insgesamt gut 54 Km. auf Bergwegen gewandert, dabei sind wir noch
3'665 m auf- und 3'284 m abgestiegen. Bevor wir beim Nachtessen den Abschluss der
Woche feiern, wird unsere Aufmerksamkeit nochmals gefordert: anlässlich einer
einstündigen sehr empfehlenswerten Führung durch Poschiavo erhalten wir einen
kleinen Einblick in die bewegte Geschichte dieses Dorfes: wir besuchen das
wohlhabende „Spaniolenviertel“ mit seinen Villen an der Via di Palaz und in der Casa
Tomé sehen wir dann als Gegensatz die kargen Lebensumständen breiter
Bevölkerungsschichten; Frau Capelli, die Führerin des Ente Turistico Valposchiavo,
zeigt uns die heute noch sichtbaren Folgen der einstigen Ueberschwemmungen im Dorf;
weiter hören wir wie sich die protestantischen und katholischen Einwohner früher an
den verschiedenen Dialekten zu unterscheiden wussten; wir bewundern die ehrwürdige
Piazza Communal mit dem Hotel Fabrici e Posta, einer früheren Kutscherstation und
nebenbei hören wir noch, dass die Hälfte der von der Stadt Mailand benötigten
Elektrizität aus Poschiavo kommt. Hier ist mit 140 Angestellten die „Rätia Energie AG“
der grösste Arbeitgeber.
Nach einem gemütlichen Nachtessen und Zusammensitzen fahren wir anderntags mit
der Bernina-Bahn, der Rhätischen Bahn und ab Chur wieder mit der SBB nach Zürich.
Telefonnummern:
Hotel Schweizerhaus, Maloja |
081 – 838 28 28 |
Hotel Chiareggio, Livio Lenatti |
0039 – 0342 45 11 98 |
Rifugio Longoni, Elia Negrini |
0039 – 0342 45 11 20 |
Rifugio Marinelli, Giuseppa della Rodolfa |
0039 – 0342 51 15 77 |
Rifugio Bignami, Alessandro Forno |
0039 – 0342 45 11 78 |
Sporthotel Raselli, Le Prese, Bruno Raselli |
081 – 844 01 69
076 – 470 93 49 |
Gruppentransport: (Alp Quadrada-Le Prese)
Autopostale, 7742 Poschiavo |
|
Gianluca Balzarolo |
081 – 844 10 42 |
Ente Turistico Valposchiavo (Führung) |
081 – 844 05 71 |
Verwendete Landeskarten:
1:50'000 Nr. 268 Julierpass, Nr. 278 Monte Disgrazia und 1:25'000 Nr. 1278 Lago di Poschiavo